28. Oktober 2023 Kultur

Wiener Kaffeehauskultur: Ein Stück Lebensart

Die Wiener Kaffeehauskultur ist weit mehr als nur der Genuss von Kaffee – sie ist ein Lebensgefühl, eine Institution und seit 2011 sogar immaterielles UNESCO-Kulturerbe. In den traditionsreichen Kaffeehäusern der österreichischen Hauptstadt verschmelzen Geschichte, Kultur und Geselligkeit zu einem einzigartigen Erlebnis, das Besucher aus aller Welt begeistert.

Die Geschichte der Wiener Kaffeehauskultur

Die Tradition der Wiener Kaffeehäuser reicht bis ins späte 17. Jahrhundert zurück. Der Legende nach brachte der polnische Offizier Georg Franz Kolschitzky nach der erfolgreichen Verteidigung Wiens gegen die Türken 1683 die ersten Kaffeebohnen in die Stadt. Als Belohnung für seine Verdienste erhielt er das Recht, das erste Kaffeehaus zu eröffnen.

Historisch besser belegt ist allerdings, dass der armenische Spion Johannes Diodato 1685 das erste Privileg zur Kaffeeausschank erhielt. Unabhängig davon, wer nun tatsächlich das erste Kaffeehaus eröffnete – die neue Getränkekultur verbreitete sich rasch in Wien und die Kaffeehäuser entwickelten sich zu wichtigen sozialen Treffpunkten.

Im 19. Jahrhundert erlebten die Wiener Kaffeehäuser ihre Blütezeit. Sie wurden zu Zentren des intellektuellen und künstlerischen Lebens. Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler und Politiker trafen sich hier, um zu diskutieren, zu arbeiten oder einfach die Zeit zu genießen. Bekannte Persönlichkeiten wie Stefan Zweig, Arthur Schnitzler, Sigmund Freud und Gustav Klimt waren regelmäßige Kaffeehausbesucher.

Das Wiener Kaffeehaus als "erweitertes Wohnzimmer"

Was das Wiener Kaffeehaus von anderen Cafés unterscheidet, ist seine besondere Atmosphäre und die ungeschriebenen Regeln, die dort gelten. Hier kann man stundenlang bei einer einzigen Tasse Kaffee sitzen, Zeitungen lesen, nachdenken oder beobachten – ohne schief angesehen zu werden. Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig beschrieb das Kaffeehaus als "eine besondere Institution, die mit keiner ähnlichen der Welt zu vergleichen ist".

Typische Merkmale eines traditionellen Wiener Kaffeehauses sind:

  • Marmortischchen mit Thonetstühlen
  • Zeitungshalter mit einer großen Auswahl an nationalen und internationalen Zeitungen
  • Samtbänke und Spiegel an den Wänden
  • Der "Herr Ober" in schwarzem Anzug mit weißem Hemd
  • Das obligatorische Glas Wasser zum Kaffee
  • Die berühmten Mehlspeisen wie Sachertorte oder Apfelstrudel

Die berühmtesten Wiener Kaffeehäuser

Café Central

Das 1876 eröffnete Café Central im Palais Ferstel war einst Treffpunkt von Persönlichkeiten wie Leo Trotzki, Sigmund Freud und Peter Altenberg. Mit seinen beeindruckenden Gewölbedecken und dem täglich spielenden Pianisten bietet es eine besonders prachtvolle Atmosphäre. Berühmt ist es auch für seine exzellenten Mehlspeisen.

Adresse: Herrengasse 14, 1010 Wien
Spezialität: Café Central Torte

Café Sacher

Das wohl berühmteste Kaffeehaus Wiens ist vor allem für seine Sachertorte bekannt. Diese Schokoladentorte mit Marillenmarmelade wurde vom Hofzuckerbäcker Franz Sacher erfunden und ist heute ein kulinarisches Wahrzeichen der Stadt. Das elegante Café im Hotel Sacher empfängt Gäste aus aller Welt.

Adresse: Philharmonikerstraße 4, 1010 Wien
Spezialität: Original Sachertorte

Café Hawelka

Das 1939 von Leopold und Josefine Hawelka gegründete Café ist bis heute ein authentisches Wiener Kaffeehaus geblieben. In den 1950er und 1960er Jahren war es ein wichtiger Treffpunkt der Wiener Künstlerszene. Die gemütliche, etwas dunkle Atmosphäre und die nach Mitternacht servierten Buchteln (Hefegebäck mit Powidl) machen seinen besonderen Charme aus.

Adresse: Dorotheergasse 6, 1010 Wien
Spezialität: Buchteln

Café Landtmann

Das 1873 gegründete Café Landtmann zählt zu den elegantesten Kaffeehäusern Wiens. Seine Lage nahe dem Burgtheater und der Universität machte es zum bevorzugten Treffpunkt von Schauspielern, Politikern und Akademikern. Sigmund Freud war hier Stammgast, und auch heute noch ist das Landtmann ein Ort, an dem man die Wiener Gesellschaft beobachten kann.

Adresse: Universitätsring 4, 1010 Wien
Spezialität: Landtmann Runde (Schokoladentorte mit Zuckerglasur)

Café Demel

Die k.u.k. Hofzuckerbäckerei Demel ist sowohl Kaffeehaus als auch erstklassige Konditorei. Gegründet 1786, war sie Hoflieferant der Habsburger und ist für ihre kunstvollen Zuckerkreationen und die exzellenten Mehlspeisen bekannt. Eine Besonderheit ist die offene Schauküche, in der man den Konditoren bei der Arbeit zusehen kann.

Adresse: Kohlmarkt 14, 1010 Wien
Spezialität: Demeltorte

Die Wiener Kaffeespezialitäten

Ein wesentlicher Bestandteil der Wiener Kaffeehauskultur ist natürlich der Kaffee selbst. Die Vielfalt der Wiener Kaffeespezialitäten ist beeindruckend und kann für Neulinge zunächst verwirrend sein. Hier eine Übersicht der wichtigsten Variationen:

Kleiner Schwarzer / Großer Schwarzer

Ein einfacher Mokka/Espresso in kleiner oder großer Ausführung.

Kleiner Brauner / Großer Brauner

Ein kleiner oder großer Mokka mit einem Schuss Sahne serviert.

Melange

Die berühmteste Wiener Kaffeespezialität – ein Mokka mit heißer Milch und Milchschaum, ähnlich einem Cappuccino.

Verlängerter

Ein "verlängerter" Mokka mit heißem Wasser, ähnlich einem Americano.

Kapuziner

Ein kleiner Schwarzer mit einem Spritzer Schlagobers (Schlagsahne).

Fiaker

Ein großer Schwarzer mit einem Schuss Rum, benannt nach den Wiener Fiakern (Kutscher).

Einspänner

Ein Mokka im Glas mit einer großen Portion Schlagobers, benannt nach den einspännigen Pferdekutschen.

Franziskaner

Eine Melange mit Schlagobers anstelle des Milchschaums.

Die Wiener Kaffeehauskultur heute

Trotz der Konkurrenz durch internationale Café-Ketten und veränderte Konsumgewohnheiten haben die traditionellen Wiener Kaffeehäuser ihre Bedeutung nicht verloren. Sie haben sich behutsam modernisiert, ohne ihren einzigartigen Charakter aufzugeben. Die Anerkennung als immaterielles UNESCO-Kulturerbe im Jahr 2011 hat das Bewusstsein für den Wert dieser Tradition zusätzlich gestärkt.

Heute sind die Wiener Kaffeehäuser wieder beliebte Treffpunkte für Einheimische und ein Muss für Touristen. Sie bieten eine Oase der Ruhe im hektischen Stadtleben und einen Ort, an dem man die berühmte Wiener Gemütlichkeit erleben kann.

Ein Besuch in Wien ohne Einkehr in ein traditionelles Kaffeehaus ist kaum vorstellbar. Nehmen Sie sich Zeit, um diese besondere Kultur zu genießen – bestellen Sie eine Melange und ein Stück Sachertorte, lesen Sie eine Zeitung oder beobachten Sie einfach das bunte Treiben. Die Wiener Kaffeehauskultur ist ein lebendiges Stück österreichischer Identität und ein Erlebnis, das man nicht verpassen sollte.

Unser Team von sladkaya-selidi.com berät Sie gerne bei der Planung Ihrer Wien-Reise und gibt Ihnen Tipps zu den schönsten Kaffeehäusern abseits der bekannten Touristenpfade.

Autorin Christina Weber

Über die Autorin

Christina Weber ist Kulturjournalistin und Wienexpertin. Sie führt regelmäßig Kulturtouren durch die österreichische Hauptstadt und kennt die verborgenen Schätze und Geschichten der Stadt wie ihre Westentasche.